, Lukas Bähler

100 km durch finnisch Lappland

Äkäslompolo – Levi – Äkäslompolo

Schon länger war es ein Ziel von Cornelia und mir, gemeinsam an einem Tag eine dreistellige Kilometerzahl auf den Langlaufskis zu erreichen. In den vergangenen paar Jahren blieb uns dies noch verwehrt. Die Saison 2023-24 lancierten wir im Goms auf einer noch kurzen Kunstschneeloipe mit 40 Tageskilometern und waren damit schon «gut durch», physisch wie auch mental von den vielen Kurven und Runden. Der Weg zum Ziel schien damals noch weit.

Im weiteren Saisonverlauf steigerten wir uns mit 50 km am Weihnachtstag auf dem Gurnigel, 77 km am vorletzten Jahrestag und konsolidierten mit zwei 50 km Läufen Ende Januar und Mitte Februar das Fundament im Goms. Ein echter Härtetest folgte in der zweiten Februarhälfte im Lötschental mit 74 km. Damit sahen wir uns in guter Ausgangslage, um das Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.
Leider verabschiedete sich dann der Winter aus der Schweiz, weshalb sich unser Fokus in den hohen Norden richtete. Seit September waren unsere 14-tägigen Ferien in Äkäslompolo zusammen mit 9 KollegInnen und FreundInnen gebucht. Umgeben von 300 km Loipen sollte sich doch die Möglichkeit ergeben.

Das Loipennetz um Äkäslompolo war uns schon gut vertraut. Bekanntlich kommt der Appetit aber beim Essen. So begannen wir uns Gedanken zu machen, unsere Loipenkenntnisse auszudehnen und einmal mit dem Bus nach Levi zu reisen und die Verbindung zurück nach Äkäslompolo zu erlaufen. Bei der Konkretisierung dieses Vorhabens stellte sich heraus, dass diese Strecke knapp 50 km beträgt. Tinu Meyer, ausgewanderter Reutiger und unsere Unterstützung für alle Fälle in Äkäslompolo, versorgte uns mit Routentipps und dabei kristallisierte sich erstmals die Idee heraus, doch gleich beide Richtungen auf den Ski und ohne Bus zu absolvieren. Von da war klar, das wird unsere Tour!
Die Streckenplanung sah vor, Richtung Norden zu starten, hinter dem Pyhätunturi gegen Osten abzudrehen und als Verpflegungsstation das Aakenuspirtti anzusteuern. Dort wechseln wir in das Loipennetz von Levi, halten 25 km gegen Nordosten und erreichen zur Halbzeit den Wendepunkt Levi. Auf der nördlicher gelegenen Loipe starten wir den Rückweg und steuern wieder das Aakenuspirtti an. Von da an geht’s über den Totovaara gegen Süden und schliesslich gegen Westen zurück nach Äkäslompolo. In der Übersicht beschreibt die Strecke somit eine um 45 Grad schräg stehende Acht. Das Profil wartet mit 5 Anstiegen und total 1300 Höhenmeter.

 

Dann musste noch der ideale Tag gefunden werden. Das Wetter sollte stabil, die Temperatur möglichst angenehm, die Loipe kompakt und möglichst schnell sein. Am Dienstag 26.03.2024 schien es schliesslich soweit zu sein. Dank den langen Tagen mit Sonnenaufgang vor 06.00 und -Untergang nach 19.00 Uhr bestand kein Anlass, schon am Morgen früh starten zu müssen. Das war auch gut so, denn das Thermometer zeigte um 8.00 Uhr noch -18 Grad. So legten wir den Start auf 9.45 Uhr fest, bei -11 Grad. Das erschien für uns ok, da wir vermuteten, dass sobald wir das Dorf in der Talsenke verlassen hatten, in weniger kalte Luftschichten kommen würden. Ausgerüstet mit je einem Trinkgurt und Minirucksack am Rücken mit Verpflegung und trockenen Unterleibchen und Handschuhen gings los.

Von da an begleitet uns das Knirschen der Ski und Stöcke den ganzen Tag. Obwohl wir immer unmittelbar hintereinander gelaufen sind, verstanden wir uns oft nur schlecht, akustisch wohlgemerkt, nicht inhaltlich!😉 Unsere Prognose bewahrheitete sich rasch. Die gefühlte Temperatur pendelte sich in einem angenehmen Bereich ein und die Loipe war nicht so stumpf wie zuerst noch befürchtet. Trotzdem waren wir die einzigen, die bis dahin dort unterwegs waren. Beim Kutujärvi verliessen wir den inneren Loipenring. Die Loipenpräparation änderte sich erstmals und der Schnee wurde stumpf. Wir liessen uns nicht entmutigen, weil die Prognose Sonne pur und damit auch laufend steigende Temperaturen vorhergesagt hatte. Es ging durch ein Gebiet, das uns stark an den Jura erinnerte. Einzelne Bäume standen entlang unserer Strecke, dazwischen weite weisse Flächen und oben drüber ein strahlend blauer Himmel. Traumhaft! Die Abfahrt mündete in ein kleines welliges und kurviges Tal, das uns entlang eines Joki (Fluss) zum Pyhäjärvi führte. Die ersten 18 km lagen hinter uns. Es folgte coupiertes Gelände, bevor wir 4 km vor dem ersten geplanten Verpflegungsposten (Aakenuspirtti) auf das Loipennetz von Levi gelangten. Auch dort ist links und rechts je eine klassische Spur angelegt. Die Skatingloipe liegt in der Mitte, ist allerdings oft breiter als wir das von Äkäslompolo gewohnt waren. Auf diesem frisch präparierten Speedway gings zügig dahin. Beim Aakenuspirtti, frei übersetzt das «Aakenus-Pintli», kehrten wir ein. Ein Holzhaus, zentral ein eingefeuerter Ofen, rund herum Tische und Bänke und eine Theke. Nach dem energiereichen Frühstück war der Hunger noch nicht vorhanden. Im Wissen darum, dass der Schlüssel zu einer derart langen Tour in der Verpflegung liegt, nahmen wir trotzdem ein Sandwich und Flüssigkeit zu uns. Die Wirtin entschuldigte sich beinahe, dass es auch im Haus noch nicht wärmer war. Denn in der Nacht lag draussen die Temperatur bei -30 Grad und kühlte auch das Hausinnere auf nur +5 Grad hinab.

Nach dem ersten Stopp folgte eine lange lange Flach-Partie. Unser Kilometerschnitt pendelte zwischen 3:50 und 4:10 Min. Nur ganz vereinzelt kamen uns Läufer entgegen. Beides änderte erst nach der nächsten Schutzhütte. Wir freuten uns, dass es auch mal wieder rauf und runter ging und so der Rhythmus variierte. Je näher wir Levi kamen, desto dichter wurde das Läuferaufkommen und schliesslich kamen uns auch noch Moni und Mäne entgegen. Sie gehörten unserer 11-köpfigen Crew an und waren mit dem Bus nach Levi gefahren. Mit motivierenden Worten schickten sie uns weiter. Kurz darauf liefen wir über den Immeljärvi und waren in Levi angekommen. 
Verkehrszentrum von Levi ist ein Kreisel, wobei jede der vier Zufahrten von einer Unterführung gequert wird. Dort führen Loipen, Schneemobiltracks und Fusswege unten durch. Durch zwei dieser Unterführungen gelangten wir direkt an einen Supermarkt. Um die Energietanks aufzufüllen, gab’s Bananen, gebackene Snacks, Sandwiches und Schoko-Milch. Der Eingangsbereich wurde auch gleich zum Speisesaal und zur Umziehkabine, da es dort angenehm warm war. Gestärkt und mit trockener Unterwäsche ging’s auf die zweite Hälfte. 

Obwohl Cornelia trockene Handschuhe angezogen hatte, kamen ihre Finger anschliessend leider nicht mehr auf Betriebstemperatur. Nur das kräftige Armkreisen kurbelte die Durchblutung wieder etwas an. Mit nur wenig Gefühl in der Hand blieb die Stockführung eine Herausforderung. Es folgte wieder viel neues Terrain für uns und zurückblickend muss ich eingestehen, habe ich diesen Abschnitt im Voraus auf den Karten nur ungenau studiert. Das zeigte sich, als die Loipe zu steigen begann und weiter hinaufführte und nach einer Kurve wieder eine Kuppe zu erklimmen war und danach nochmals die nächste Anhöhe wartete. Die unerwarteten Hindernisse sind die, mit denen man am meisten zu kämpfen hat. Selbstredend fühlte sich die darauffolgende Abfahrt auch kurz und viel zu schnell vorbei an. Über eine Fläche schlossen wir die obere Schleife der 8 ab und folgten für 4 km den Spuren vom Morgen. Das war überhaupt der einzige Abschnitt des ganzen Tages, den wir zweimal absolvierten. Wir kamen zum zweiten Mal beim «Aakenus-Pintli» vorbei. Der Zeitplan hätte noch gepasst, das Pintli hätte noch offen gehabt, uns war aber nur nach Blase leeren. Frisch erleichtert starteten wir auf den letzten Viertel.

Weil die Zeit nun doch schon fortgeschritten war und die Sonne sich gegen den Horizont wandte, fiel auch der Schatten des Aakenus schon beträchtlich aus. Da uns die Loipe am östlichen Fuss dieses Hügels entlangführte, verabschiedeten wir uns vorerst von der Sonne. Für die kalten Finger von Cornelia nicht optimal. Zudem waren unsere Sonnebrillen plötzlich etwas gar dunkel. Erst mit dem Anstieg zum letzten Hindernis des Tages, dem Totovaara, kam einerseits die Wärme wieder bis in die Fingerspitzen und die Sonne in unsere Gesichter. Beim Haavepalo, dem Aussichtspunkt auf dem Totovaara, strahlten wir um die Wette, lag uns doch das Finish sozusagen vor den Füssen. Von da an waren uns nämliche die Loipen wieder bekannt. Es folgte zuerst die Abfahrt und dann ein Flachstück zurück ins traute Heim und damit in Ziel unseres Unterfangens.

Die Szenerie passte! Dadurch, dass wir die Strecke schon kannten, konnten wir das abschliessende Teilstück in Richtung Sonnenuntergang aus vollen Zügen geniessen. Auch wenn die Beine nicht mehr immer von allein liefen, zur Entlastung in die Spur gewechselt wurde und im Doppelstock weitergeschoben wurde. Ein Kampf oder Krampf war es nicht. Vielmehr herrschte grosse Vorfreude, auf den bevorstehenden Moment, wenn die Distanzanzeige auf der GPS-Uhr demnächst den Sprung machen wird. Und um 18:58 Uhr, nach 8h «Reisezeit» und einem in Flammen stehenden Horizont war es geschafft! Merci Cornelia, es war mir eine Ehre, dies mit dir erlaufen und erleben zu dürfen.
Dass wir zu diesem Zeitpunkt noch 5 km von der warmen Stube entfernt waren, braucht hier nicht erwähnt zu werden 😉